Woher kommt der Mut?

von Manuela Reichmann (Kommentare: 0)

Mit dieser Frage beschäftigen sich Johanna Haberer und Sabine Rückert in einem sehr inspirierenden Artikel im ZEIT Magazin vom 02.06.22, im Kontext von Pfingsten als Fest des Mutes und des neuen Geistes:  Die Christen feiern das Mysterium, dass die Apostel nach Jesu Tod ihre Furcht vor Verhaftung hinter sich gelassen haben und plötzlich flammende Reden vor versammelter Menschenmenge halten.

David gegen Goliath – die Geschichte ist der Inbegriff des Urmythos des schwachen Siegers, des unterschätzten Retters, der aus dem Nichts kommt. Zuvor wird er vom Propheten Samuel, der nach einem neuen König für das Land sucht, erkannt und gesegnet. Durch dieses Zeichen verändert sich der ca. 15jährige und vielleicht trägt David in dieser aussichtslosen Situation das unerschütterliche Selbstvertrauen, das sich aus dem Zutrauen einer höheren Macht speist.

Die eindrucksvollsten Psalmen des Alten Testaments handeln sehr oft von einem Mut, der sich aus der unterdrückten Wut, aus der Ohnmacht und aus dem Hunger nach Gerechtigkeit speist. Der feste Glaube an eine höhere Gerechtigkeit und die innere Gewissheit, auf der richtigen Seite zu stehen, macht sturmfest gegen die Erschütterungen der persönlichen und politischen Welt… auch wenn man nicht auf der vermeintlich (kurzfristigen) Gewinnerseite steht.

Der Geist aus dem die Helden und Heldinnen handeln, ist stets ein Geist der Verantwortung und der Gemeinschaft. Sie beziehen ihre Kraft aus der Sache, die sie zu der ihren gemacht haben, und sehen von sich selber ab.

In unserer modernen Welt, die von Algorithmen und Hochrechnungen beherrscht wird, wird das Individuum mit seinen Fähigkeiten eher als zweitrangig eingeschätzt.  Nichtsdestotrotz haben Geschichten vom Sieg des Kleinen über das Große ihre Faszination nicht verloren. Sie handeln immer von der Wirksamkeit und Unerschrockenheit des Einzelnen, im Sinne der alten Weisheit „Ein einziges Samenkorn kann die Waage zum Kippen bringen“ .

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut. Die zivilisierte Gesellschaft wäre wohl längst untergegangen, hätte es nicht zu allen Zeiten und in allen Generationen diese Furchtlosen gegeben – und ihr großes Trotzdem. Die Mutigen dieser Welt tragen den Horizont des Morgengrauens in sich: die positive Zuversicht, dass die Welt ein besserer, menschlicherer Ort werden kann; das Zutrauen in sich selbst und den eigenen Auftrag; und das Vertrauen all jener, die sich ihnen anschließen – entgegen aller Wahrscheinlichkeiten und Erfahrungen.

Es geht um die Zukunft. Und: Es geht um Gerechtigkeit. Und: Es geht nicht ohne mich.1

Vielleicht sind die Geschichten der „Helden wie du und ich“ so faszinierend, weil immer auch die Frage mitschwingt: Wie hätte ich mich in dieser Situation verhalten, hätte ich mich getraut hinzustehen?  Es ist nicht schlimm, sondern nur ehrlich, wenn ich das vielleicht verneinen muss.

Spannend, weiter zu reflektieren:

  • Für was/wen würde ich eigentlich hinstehen?
  • Mal angenommen, ich wäre über Nacht mutiger geworden, was würde ich tun? Was würde sich dadurch in meinem Leben verändern?

In diesen Zeiten immenser Krisen braucht es sie mehr denn je: mutige Menschen, die hinstehen. Dieser Geist hat viele Gesichter, auch das der Kreativität, der bahnbrechenden guten Idee, die von irgendwoher kommt.

„Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s einfach gemacht.“ Dieser Kalenderspruch beschreibt die Davids dieser Welt. Im Leichtsinn des Mutes verändert er die Regeln und so das ganze Spiel.1

Viele der Mutigen haben ihren Mut nicht geplant. Sie sind im Moment der Not-wendig-keit über sich hinausgewachsen, mit einem klaren Ruf oder Impuls.

Ich kenne das auch von mir: wenn mir „eine Sache“ wirklich aus tiefstem Herzen wichtig ist, dann trägt mich das über meine inneren Hemmnisse und Ängste hinweg und gibt mir die Kraft, auch Gegenwind standzuhalten.

Ich danke und verneige mich vor den Mutigen, die es immer schon gab und immer noch gibt: Naturschützer und Forscher, die viel in Kauf nehmen, um sich für Tiere, Wälder oder Klima einzusetzen. Pflegekräfte, die sich aus Überzeugung nicht gegen Corona impfen lassen und dafür ihren Job riskieren. Menschen in Russland, die trotz zu erwartender Repressalien öffentlich gegen den Krieg eintreten. Und viele andere.

 

1 Vgl. Zeitmagazin Nr.23/2.6.2022, Woher kommt der Mut?  in Teilen zitiert.

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